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So prägt Gendern unsere Wahrnehmung und Gesellschaft

Gender-bewusste Sprache – kurz: Gendern – ist ein Thema, um das man bei Familienfeiern besser einen großen Bogen macht. Zumindest, wenn man vermeiden will, dass mit der Hähnchenkeule und dem veganen Wiener Würstchen geworfen wird. Dabei wird die Debatte von beiden Seiten meist eher durch Emotionen denn durch konstruktive Argumente bestimmt.

Denn Sprache ist etwas sehr Individuelles: ein Hilfsmittel, um unsere Gefühle und Gedanken auszudrücken und mit anderen zu kommunizieren. Je nachdem, welche Worte wir wählen, können wir Menschen beeinflussen und Veränderungen bewirken. Sprache ist zudem ein mächtiges Werkzeug, über dessen Wirkung wir uns im Klaren sein sollten. Sie sollte mit Bedacht genutzt werden – und mit Bedacht möchte ich daher auch mit dem Thema Gendern umgehen. 

Warum kommt jemand auf die Idee, zu gendern?

Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht „männlich“ und „weiblich“ geht es beim Gendern um das „gelebte“ oder auch „gefühlte“ soziale Geschlecht. Gendern bedeutet, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden und damit alle Menschen gleich zu behandeln. Doch wie sieht die Handhabung in der deutschen Sprache aus?

Bisher wird meist das generische Maskulinum für Personen und Berufe verwendet. Sie werden also männlich geschrieben, obwohl eine weibliche Form existiert. Für die Mehrheit der Bevölkerung reicht das vollkommen aus. Sie sehen die Gender-Debatte als gesellschaftliches Problem – als etwas, das weit entfernt ist von einer konstruktiven Debatte über sprachliche Gegebenheiten.

Nach dem „Greenwashing“ kommt das „Pinkwashing“

„Leute, die nicht gendern, werden in eine rechte oder halbkonservative Ecke gesteckt. (…) Leute, die gendern, können sich damit ganz leicht pinkwashen“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Dr. Ewa Trutkowski in der Reportage-Reihe „beta stories“ über die Zukunft der deutschen Sprache. Doch wie sehr überwiegen die negativen die positiven Effekte?

Erst „Greenwashing“, nun „Pinkwashing“: Inzwischen ist es üblich, Trends aufzugreifen, um sich in ein positives Licht zu rücken. Dies gilt sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen. Anstatt diese Entwicklung als negative Konsequenz zu sehen, möchte ich den Blick in eine andere Richtung lenken: Kann man davon profitieren, dass Menschen mit dem Trend gehen? Kann es sogar ein Vorteil auf dem Weg zur Gleichbehandlung sein? Selbst wenn die Intention des Genderns eine egoistische ist, bleiben die Folgen dieselben. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das Gendern unsere Wahrnehmung und unser Verhalten unterbewusst beeinflussen kann. 

Studien über Studien

Ein Blick in andere Länder macht deutlich, dass Sprachen mit grammatischem Geschlecht Defizite in puncto Gleichstellung aufweisen. Laut einer Analyse der Weltbank fällt in diesen Ländern der Anteil der arbeitenden Frauen geringer aus und auch die Geschlechterrollen folgen häufig traditionellen Mustern. Diese Erkenntnisse liefern zwar keinen eindeutigen Hinweis, was Ursache und Wirkung ist. Doch es werden Zusammenhänge sichtbar.

Das zeigt auch eine Studie aus Schweden, die das Pronomen “hen” untersuchte. Es wurde 2015 eingeführt als Alternative zu “hon” und “han”, also “sie” und “er”. Aus den Ergebnissen der Studien geht hervor, dass Menschen unterbewusst ihre Einstellung gegenüber Frauen und Menschen der LGBTQ+-Gemeinschaft verändern und ein positives Bild von Frauen und sexuellen Minderheiten entwickeln.

Gleichzeitig verändert sich auch die Selbstwahrnehmung der Betroffenen. Wenn bei typischen Männerberufen auch die weibliche Form gewählt wurde, hatten die weiblichen Personen ein höheres Interesse an den Berufen. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Wir denken nicht nur bei typischen Männerberufen an Männer, sondern auch bei typischen Frauenberufen. Die Vorstellung entspringt also tatsächlich unserer Sprache, nicht unserer Erwartung. Geschlechtergerechte Sprache macht somit freier von Stereotypen.

Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Ewa Trutkowski verdeutlicht ihren Standpunkt mit einem weiteren Argument: „Ich trete für das generische Maskulinum ein, weil es eine Form ist, die Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht bezeichnet. Sie ist kurz, praktisch und wird von den meisten Menschen so verwendet.” Aber kann das generische Maskulinum auch in der Realität unabhängig vom Geschlecht betrachtet werden und ist das Gendern im Gegensatz dazu wirklich so umständlich?

 Ist gendern wirklich so kompliziert?

„Kompliziert ist es trotzdem“, höre ich oft – zum Teil auch zurecht. Denn für den Durchschnittsmenschen verlangt das Gendern eine Umgewöhnung. In unserem Gehirn müssen erst neue neuronale Verknüpfungen entstehen, um eine genderbewusste Sprache im Alltag ohne Nachdenken anzuwenden. Hanna Pitsch, Prüferin für leichte Sprache bei der Lebenshilfe Braunschweig, verdeutlicht dies beispielsweise an einem Satz, in dem das Wort „Patient*innen“ vorkommt: „Das ist schwer, man muss sich erstmal etwas darunter vorstellen. Nur das Wort ‚Patient‘ wäre jetzt für mich am besten.“

Auch wenn das Gendern viele positive Effekte mit sich bringt – an einer barrierefreien Lösung muss noch gefeilt werden. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat sich bereits für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch ausgesprochen, der verständlich, lesbar und regelkonform ist. Auch der Duden hat sein Online-Wörterbuch gendergerecht überarbeitet. Bisher gibt es nur Anhaltspunkte, wie und auf welchem Weg die geschlechtergerechte Sprache unsere Gesellschaft verändern kann. Doch möglicherweise sind die Folgen dieses Wandels weitreichender, als momentan absehbar.

Louisa Diekmann

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